Montag, 28. April 2014

Die Apostel Thomas und Johannes im Lichte der Auferstehung Christi -Erzpriester W. Wetelew



„Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28) 
Nicht ohne Grund ist der erste Sonntag nach Ostern nach dem Apostel Thomas benannt. Mit Seiner Auferstehung hat Jesus Christus die Welt erschüttert und dem Lauf der Weltgeschichte eine Wendung gegeben. Das wunderbare Geschehen Seiner Auferstehung betraf zunächst Ihn selbst, dann aber auch die Menschen Seiner nächsten Umgebung, die Apostel und die Frauen am Grabe. In welcher Beziehung standen sie zu dem unerhörten Wunder, wie wirkte es auf sie? 
Am einschneidendsten wohl erlebte der Apostel Thomas die Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Die Heilige Kirche hat dem in der Benennung eines Sonntags nach Ostern Rechnung getragen. Obwohl Christus zu Seinen Lebzeiten mehrfach Seine Jünger daraufhin orientierte, dass Ihm zu leiden und am dritten 
Tage aufzuerstehen beschieden sei (Mt 12,40.16,21; 17,22.23; 20,19 u. a.), waren sie weit davon entfernt, dies als Realität ernst zu nehmen. Als diese Ereignisse dann eintraten, fühlten sie sich überrascht. Die Worte des Herrn hatten sie sich noch nicht zueigen gemacht, und „aus der Schrift wussten sie noch nicht, dass Er von den Toten auferstehen musste“ (Joh 20,9). 
Sie hofften vielmehr dass Er der wäre, „der Israel erlösen würde“ (Lk 24,21).Er durfte nicht sterben, Er sollte der König und Befreier des jüdischen Volkes werden. Leiden und Tod Christi entsetzten die Apostel und stürzten sie in äußerste Entmutigung. Die enttäuschte Hoffnung machte Furcht und Bitterkeit Platz. Alles war plötzlich zusammengebrochen, und ihre Vorstellungen von dem Meister waren jäh an eine Barriere gekommen. 
Was blieb ihnen anderes übrig, als vor Überraschung und Furcht ob der schrecklichen Ereignisse auseinanderzulaufen (Mark 14,50). Außer den beiden Aposteln Petrus und Johannes waren sie alle geflohen. Ein Teil von ihnen wollte Jerusalem verlassen, wie wir das am Beispiel der beiden Emmaus-Jünger sehen 
(Lk 24,13). Weil sie davon träumten, dass Christus der Befreier des jüdischen Volkes vom Joch fremdländischer Herrschaft werden würde, versäumten die Apostel, das Wichtigste Seiner Mission zu begreifen und zu lernen. Denn Christus kam auf die Erde und wollte das Volk vom Joch der Sünde, des Fluches und des Todes durch Seine freiwilligen Leiden, durch Seinen Tod und Seine Auferstehung befreien. 
Noch sahen sie in den Schmähungen, Leiden und dem Tod des Meisters nicht die verborgene, erlösende und rettende Bedeutung des Geschehens und konnten eben deswegen nicht an Seine Auferstehung glauben als an den Abschluss seines Erlösungswerkes. An die Auferstehung dachten sie so gut wie gar nicht, wenn überhaupt. Aus der Geschichte der Bibel und durch die Gemeinschaft mit Christus wussten die Apostel, dass ein Mensch einen anderen auferwecken kann (wie etwa Christus den Lazarus), aber es war ihnen unmöglich, sich vorzustellen, dass ein Mensch – und wäre es selbst ihr Meister – sich selbst auferwecken könnte ohne 
sichtbare Beteiligung eines anderen. Dieses Wunder war auf der Erde noch nicht geschehen. Nichts in dieser realen Welt konnte sie deswegen auf den Gedanken bringen, dass ein solches Wunder sich an und mit Christus vollziehen sollte. 
Was wundert ist, dass sie die Worte der Frauen vom Grabe, die ihnen die Auferstehung des Herrn verkündigten, für bloße Rederei hielten und „nicht glaubten“ (Lk 24,11). 
Und als ihnen der Auferstandene Selbst erschien, hielten sie Ihn zunächst für ein Gespenst, für einen „Geist“(Lk 24,37-39). Christus musste ihnen Hände und Füße zeigen, sie auffordern, Seine Wundmale zu betasten und sich davon zu überzeugen, dass Er es selbst, ihr Meister, des Menschen Sohn sei, wie Er Sich so oft im Gespräch mit ihnen selbst genannt hatte. 
Wie kommt Er ihnen und ihren Zweifeln entgegen, wenn Er sie um Speise bittet, um ihnen damit zu zeigen, dass sie eine lebendige und wirkliche Person vor sich haben! Die Apostel wurden von großer Freude erfüllt, aber noch konnten sie nicht glauben und „wunderten sich“ (Lk 24,12), weshalb Er sie ob ihres „Unglaubens und ihrer Herzens Härtigkeit“ schalt (Mk 16,14). 
Solange hielten sich unter ihnen Zweifel und Unsicherheit, bis der Heiland bei späteren Erscheinungen ihnen erklärte: „So ist's geschrieben, Christus musste leiden und auferstehen am dritten Tag“ (Lk 24,46). Schließlich wurden sie seiner Auferstehung bewusst und konnten nach Pfingsten Christi Zeugen sein bis an die Enden der Erde. 
Als Christus zum erstenmal in den Kreis der Apostel trat, fehlte Thomas. Sein Verstand sträubte sich zu glauben, was ihm die anderen Apostel berichteten: 
„Erst wenn ich Ihn sehe und meinen Finger in Seine Nägelmale lege und meine Hand an 
Seine Seite, will ich glauben“ (Joh 20,25). 
Es vergeht eine quälende Woche, eine Woche voll Kampf in der Seele des Thomas, in dem Unglaube und Glaube, Verstand und Herz miteinander ringen. 
Am achten Tag erscheint Christus abermals den Aposteln, und diesmal ist Thomas dabei: „Friede sei mit euch!“ Und zu Thomas gewandt: „Leg deinen Finger hierher und sieh Meine Hände . . . und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ (Joh 20,26). 
Mit dem Ruf: „Mein Herr und mein Gott!“ stürzt Thomas zu Jesu Füßen. Von diesem Augenblick an zog der Auferstandene in seine Seele ein und verband Sich mit seinem Geist zu einer untrennbaren Einheit, eine Einheit, von der später der Apostel Paulus sagen sollte: „Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). So verlief der innere Wandel in der Seele des Apostels Thomas, seine geistliche Wiedergeburt. Er konnte nun die Frohbotschaft von dem Erlöser weitertragen. 
Doch Christus hatte ihm noch eine entscheidende Lehre zu vermitteln: „Du bist zum Glauben gekommen, weil du Mich gesehen hast. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29). Wem ist es mit der Gabe des Glaubens, seiner Kraft und Unmittelbarkeit anders ergangen als dem Apostel Thomas? Unter den Aposteln läßt sich streng genommen nur ein Beispiel finden: Johannes. Als Petrus von den Frauen am Grabe die Auferstehung Christi bezeugt bekommt, eilt er zu dem leeren Grab und sieht dort den Toten nicht. Er wundert sich lediglich über das, was dort vor sich gegangen ist (Lk 24,12). Der Heiland musste dem Simon besonders erscheinen (Lk 24,34), um ihn endgültig von Seiner Auferstehung zu überzeugen. 

Demgegenüber genügte es dem Apostel Johannes, in das leere Grab hineinzugehen. Sein Herz sagte ihm, dass Christus lebe. Ohne den Auferstandenen zu sehen, glaubte er an Seine Auferstehung (Joh 20,8). Wir müssen uns hier erinnern, dass der Apostel Johannes die Ereignisse auf Golgatha miterlebt und am Kreuz des Heilands gestanden hat. 
Denn dies war für die innere Verbindung mit Christus und das Verständnis der Dinge von ausschlaggebender Bedeutung. Vor sein inneres Auge traten all die wunderbaren Begebenheiten, die zahlreichen Andeutungen und Prophezeiungen Christi über Seine Auferstehung. Hatte er doch selbst am Kreuz des leidenden Erlösers innerlich begriffen, dass allein Gottes große Liebe den Menschen Christus dazu bewegen konnte, an den 
Schandpfahl zu gehen und Leiden und Tod auf sich zu nehmen. Hier auf Golgatha erschloss sich dem Apostel das große Geheimnis, dass die opfernde Liebe stärker ist als der Tod. Christus konnte zwar unter der Last menschlicher Sünden und infolge der Kreuzesqualen sterben, aber er konnte nicht unter der Macht des Todes bleiben, weil die wunderwirkende göttliche Liebe, die selbst vor dem Kreuz nicht zurückschreckte, nicht sterben kann. Christi Tod ließ die Erde erbeben, leitete in der Gesinnung der Menschen einen Umbruchein und wurde somit zum Herold der bevorstehenden Auferstehung Christi. Mit Herz und Sinn begann dies der Apostel Johannes bereits auf Golgatha zu begreifen und im voraus zu empfinden. Als er nun das leere Grab sah, durchschaute sein Herz dieses Rätsel und sagte ihm das Gleiche, was die Engel den Balsamträgerinnen verkündet hatten. Christus „ist nicht hier, Er ist auferstanden“ (Lk 24,6). 

Herz und Liebe zu Christus bahnten dem Apostel Johannes den Weg zum Glauben an die Auferstehung Christi und ließen ihn zu einem glühenden Verkünder dieser wunderbaren Botschaft werden. Diesen Weg hat der Herr über den Weg des Apostels Thomas gestellt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29). 
Somit gibt es zwei Wege zum Glauben, liebe Brüder und Schwestern – durch die Überzeugung der Vernunft und durch das Zeugnis des Herzens. Beide stehen uns offen, und beide haben apostolischen Grund. Im Leben des Menschen vereinigen sie sich nicht selten: Das Herz belebt den Verstand, und der Verstand gibt dem Glauben Grund und Festigkeit. Bei den meisten von uns verhält es sich so. Wie der Apostel Johannes, so können auch wir mit unseren Augen in den Tagen der heutigen Ostern den auferstandenen Heiland nicht sehen. Wir empfinden Ihn mit unserem Herzen, unsere Liebe drängt uns zu Ihm. Gewöhnlich kleingläubig, rufen wir mit dem Apostel Thomas, nachdem unser Glaube lebendig wurde: „Mein Herr und mein Gott!“ Auch uns hat der Herr unter das Wort genommen „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“. Lasst uns dieses Glaubens würdig sein, würdig auch seiner lebenschaffenden Liebe. Amen. 


Quelle: stimme-der-orthodoxie.de

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