Freitag, 22. November 2013

Einführung zum Mysterium der Exomologesis (Beichte) oder des Sakramentes der Buße - Erzpriester Sergius Heitz

Es ist das Kennzeichen eines jeden Mysteriums (Sakramentes) der Kirche, daß in seiner Feier die Gläubigen hineingenommen werden in das Erlösungsgeschehen von Kreuz und Auferste­hung Christi durch den Heiligen Geist. So sind Tod und Aufer­stehung Christi das grundlegende österliche Mysterium, auf dem alle anderen Mysterien beruhen: die Taufe als Mitbegrabenwerden und Mitauferstehen mit Christus (Rm 6,3-4; Gal 3,27), die Myronsalbung als Begabung und Versiegelung mit dem Heiligen Geist (2 Kor 1,21-22), die Teilnahme an der Eucharistie und an der Vereinigung mit dem allreinen Leib und dem kostbaren Blut Christi als Aktualisierung der Vereinigung mit dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn, das Gebet als Verharren in der Gemeinschaft mit diesem Herrn im Alltag (Kol 4,2; l Th 5,17), die Buße als Wiederverei­nigung des aus der Christusgemeinschaft Herausgefallenen, die Krankensalbung  als  Stärkung  des  an  Leib  und  Seele  Ge­schwächten, die Ehekrönung als Stiftung der abbildlichen Ge­meinschaft zwischen den Ehegatten, die Weihen als Bevoll­mächtigung zur sakramentalen Verkündigung von Kreuz und Auferstehung Christi.
Die Buße ist also nicht isoliert zu sehen; sie ist vielmehr ein Aspekt des österlichen Mysteriums. Das eine österliche Licht wird gebrochen in die verschiedenen Farben des Regenbogens. Das bedeutet, daß die Buße nicht in erster Linie von der Moral oder von Schuld, Gericht und Strafe her betrachtet werden kann. Sie ist vielmehr zu verstehen als ein notwendiges Mo­ment der Heilung und des Heilwerdens, sowie des wachsenden Anteilbekommens an der Verherrlichung des Auferstandenen.
So sind auch Gebrauch und Einsetzung dieses Sakramentes nicht in erster Linie juridisch zu verstehen. Denn nicht nur Mt 18,18 und 16,18, sondern ebenso Joh 20,21-23 ist dafür konstitutiv:
„ ,Gleich wie Mich der Vater gesandt hat, so sende Ich euch.‘ Und da Er das gesagt hatte, hauchte Er sie an und sprach zu ihnen: ,Empfanget den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen. Und denen ihr sie be­haltet, denen sind sie behalten.‘„
An diesem Text ist ein Dreifaches besonders wichtig:
a) Es ist der Auferstandene, der die Jünger aussendet und ihnen die Vollmacht erteilt, Sünden zu vergeben oder zu behal­ten. Die Ausübung dieser Vollmacht ist also Bestandteil des österlichen Evangeliums. Die Buße ist damit ein freudiges Ge­schehen, ein Geschehen der Befreiung.
b) Diese Vollmacht wird allen Aposteln, die seine Auferstehungs-zeugen sind, gegeben, nicht allein und nicht primär Pe­trus. Es gibt daher keine „vorbehaltenen Fälle“; jeder Priester der Orthodoxen Kirche kann alle Sünden absolvieren.
c) Mit der Sendung und Beauftragung wird den Aposteln, d. h. den Gesandten, der Heilige Geist geschenkt. Er ist es Selbst, der die Sünden vergibt; Er ist ja die Gegenwart Gottes Selbst. Man beichtet also Gott, nicht dem Priester, wenn man im Mysterium der Buße das Beichtbekenntnis spricht. Zudem ist die Buße nicht auf Sündenvergebung beschränkt; mit ihr verbunden ist vielmehr eine ganzheitliche Erneuerung und Heiligung im Heiligen Geist. Darum sind es nicht nur Todsün­den,  die im Beichtbekenntnis bekannt  werden,  überhaupt nicht primär Tatsünden, sondern die Gottesferne, die Trägheit und Unreinheit des Herzens, die Friedlosigkeit des Gemütes, das mangelnde Gebet, das heißt: der sündige Zustand der Seele, der ja letztlich die Ursache für die Tatsünden darstellt. Eine Unterscheidung von Todsünden und läßlichen Sünden ist da­her für die orthodoxe Beichtpraxis unerheblich; denn es geht nicht primär um einen richterlichen Akt der Tilgung einer Schuld, sondern um die Heilung einer Krankheit und um eine innere Wandlung. Der Beichtvater hat also nicht die Funktion eines Richters, sondern eines Arztes.

Das hat Konsequenzen für die Vorbereitung auf die Beichte. Nach orthodoxem Verständnis hängt sehr viel daran, daß der Beichtende in Bußgesinnung, Demut, Reue und Bereitschaft, sich zu ändern, herantritt, sonst bleibt die Heilung nur ober­flächlich und reicht nicht bis an die Wurzeln. Darum ist die Vorbereitung auf die Beichte wichtig, die im Gebet geschieht. Die Gebetstexte, die wir in diesem Buch zur Beichtvorberei­tung vorlegen, sind teils der Ordnung der Exomologesis, teils dem Stundengebet, teils dem Großen Bußkanon des heiligen Andreas von Kreta (gest. 740) entnommen. Der Bußkanon des heiligen Andreas, der in der ersten und in der fünften Woche der Großen Fasten in allen Klöstern und vielen Gemeinden öf­fentlich zum Vortrag kommt, zeichnet sich aus durch eine be­sondere Tiefe der Sündenerkenntnis, die ihn für den Gebrauch zur Beicht-Vorbereitung geeignet macht. Das Verlangen nach wahrer Buße ist da verbunden mit dem Wissen um die eigene Unfähigkeit, aus sich selbst heraus die Umkehr zu vollziehen oder auch nur wirklich zu wollen; darum die wiederholte Bitte um die Tränen der Reue, die hier wie auch in den Gebeten vor der Kommunion verstanden werden als ein Geschenk der gött­lichen Gnade, das die Seele zu reinigen vermag. Es ist eine alte orthodoxe Tradition, den in Demut vor Gott vergossenen Trä­nen reinigende Kraft zuzuschreiben. Man kann gleichsam von einem Mysterium der Tränen sprechen, das der westlichen Tra­dition weitgehend fremd ist, jedoch eine Parallele im jüdischen Chassidismus hat.
Wichtig ist im Kanon des hl. Andreas ferner, daß hier der Kleingläubigkeit und Verzagtheit des Sünders mit vielen Bei­spielen aus dem Evangelium Gottes Güte und Bereitschaft zu verzeihen, vorgehalten wird, so daß der zur Verzweiflung ge­neigte Gottferne hineingenommen wird in das Vertrauen und den lebendigen Glauben der Heiligen, und so zum Mysterium der Buße herantreten kann als einer, der in Demut seine Un­würdigkeit und seine Sünden zu bekennen vermag und sich ganz auf die ungeschuldete Barmherzigkeit Gottes verläßt.
Das Beichtbekenntnis selbst steht in der Orthodoxen Kirche in seiner Form nicht fest. Mancherorts ist es üblich, sich dabei an den Zehn Geboten zu orientieren. Das hat aber den Nach­teil, daß sich leicht ein gesetzliches Verständnis der Buße ein­schleicht und daß ferner der hinter den Tatsünden stehende sündige Zustand der Seele nicht wirklich in Blick kommt. Darum ziehenwir die genuin orthodoxe Tradition vor, das Beichtbekenntnis an dem „größten Gebot“ der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe (Mt 22,34-40) zu orientieren. Wie dies konkret geschieht, muß natürlich dem einzelnen Gläubi­gen und seinem Beichtvater selbst überlassen bleiben. Doch ge­ben wir hier eine Form der Beichte als Vorschlag, weil wir wissen, wie sprachlos und ratlos viele Gläubige sind, wenn sie ihre Beichte formulieren sollen.
Schließlich scheint es uns wichtig, daß die Absolution vom Gläubigen durch Dankgebete aufgenommen und beantwortet wird. Ist doch die Undankbarkeit gegenüber Gott eine der Wurzelsünden, die das Leben vergiften, und damit auch eine Ursache all unserer Friedlosigkeit. Darum ist es ein erster Schritt zur Aktualisierung der Umkehr im Alltag, wenn wir, von der Beichte nach Hause gekommen, als erstes für die erfah­rene Güte Gottes danken.
Die Gebete, die wir hierzu vorschlagen, entstammen teils dem Oktoich, teils wiederum dem Tageszeitengebet, mit dem eine solche Danksagung auch verbunden werden kann (vgl. dazu S. 261). Natürlich kann der Dank auch in anderer Weise Ge­stalt gewinnen, etwa durch eine Intensivierung des Herzens­gebetes.
Wie auch immer, letztlich geht es nur um das eine: nämlich, dass wir uns dem Mysterium der Buße so öffnen, dass Christus in uns immer mehr Gestalt gewinnt und wir in wachsendem Maße an Seiner Herrlichkeit Anteil erhalten.

Auszug aus: Sergius Heitz: Mysterium der Anbetung III

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